272 Xvii. §. 4. Einbruch der Germanen in die Grenzprovinzen.
zu nehmen. Durch diese neu hereinbrechenden Ansiedler wurden die
Alpengegenden südwärts der Donau völlig germanisch, nachdem
die früheren Bewohner (Kelten mit Römern vermischt) durch den ge-
waltigen Ansturm größtentheils auseinandergesprengt waren. Eben
so traten in dem römischen Grenzgebiet zwischen Rhein und Do-
nau neue suevische Völkerschaften hervor, die ebenfalls aus ihren
nordöstlichen Sitzen durch die Sachsen verdrängt waren, und bildeten
unter dem Namen Alemannen eine gewaltige Macht. Kaiser Ca-
racalla konnte sie nicht bezwingen, mußte sie auf römischem Gebiet
gewähren lassen und suchte nur ein möglichst freundliches Verhältniß
zwischen ihnen und den Römern herzustellen. Die Hauptgefahr drohte
den Römern aber immer wieder von den östlichsten Massen der Ger-
manenstämme, von den Geten oder Gothen. Diese gewaltigen
Kriegsleute ließen sich schon südwärts der Donau nieder, in Mosten,
und so oft sie auch geschlagen sein mochten, in immer neuer Kraft
richteten sie sich wieder auf, zwangen den Kaiser Alexander Se-
verus zur Zahlung von Jahrgeldern, besiegten den Gordia-
nus Iii., führten unter Philippus Arabs neue gewaltige Hee-
resmaffen über die Donau, überschritten das Hämusgebirge, sielen in
Macedonien und die südlichen Länder ein, überwanden und tödteten
den Kaiser Decius in einer Hauptschlacht (251) und ließen sich
nur durch große Versprechungen und Zahlungen seines Nachfolgers
bewegen, wieder über die Donau zurückzuziehen (vgl. S. 253.255).
Der Einbruch dieser germanischen Barbaren in die Grenzprovinzen
des römischen Weltreichs — mochten sie nun als römische Unterthanen
und Grenzvertheidiger oder als unwillkommene Störenfriede und nur
aus Noth geduldete Eindringlinge unter den Römern wohnen — gab
nothwendig auch den ersten Anlaß zur Bekanntschaft der Germanen
mit dem Christenthum im Römerreich. Denn durch den ganzen Rie-
senleib des römischen Weltreichs war ja schon das Christenthum in
tausend und aber tausend feinen Canälen bis in die entlegensten Pro-
vinzen verbreitet. Durch den Handelsverkehr, durch einen fortwähren-
den Wechsel der Legionen, durch neue Ansiedler aus Italien, aus Klein-
Asien, aus Griechenland war die ewige Wahrheit bereits bis an die
Ufer des Rheins und der Donau getragen. Man will schon im dritten
Jahrhundert Bischofsitze kennen in Metz, Trier, Cöln, Tongern, in
Mainz, Worms, Straßburg, Basel, in Augsburg, Regensburg, Fabian«
(Wien) u. s. w. Wenn sich auch wirkliche Bisthümer nur an den we-
nigsten genannten Orten Nachweisen lassen, so waren doch christliche
Gemeinden ohne Zweifel weit und breit vorhanden, besonders zahlreich
in Pannonien (Ungarn). Aber noch schwebte die Verfolgung über
den Häuptern der Christen, noch waren es nur heimliche oder doch nicht
vom Staat anerkannte Gemeinden, und das Blut der Märtyrer floß
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Extrahierte Personennamen: Alexander_Se- Alexander Philippus_Arabs Decius
276
Xvii. §. 6. Die Völkerwanderung.
rung der ganzen südlichen und westlichen Bevölkerung Europa's und
die gänzliche Zertrümmerung wenigstens der westlichen Hülste des
Römerreichs herbeiführen sollte. Wir pflegen diese Bewegung mit
dem Namen Völkerwanderung zu bezeichnen. Aus dem innern Asien
heraus, aus dem Schwarm der nomadischen Völkermassen, die, fast
unzertrennlich von ihren schnellen Pferden, jahraus jahrein die weiten
Steppen mit ihren Heerden durchziehen, holte der Herr das Hun-
nenvolk hervor, daß es wie ein gewaltiger Keil hineinfahre in die
germanischen Völker deö Mittlern Europa und sie nach allen Seiten
auseinandersprenge. Nicht sollte dies fremde Volk selber Theil und
Erbe haben an den Gütern und Gaben der christlichen Kirche, der
altrömischen Bildung, der europäischen Cultur. Als ein rohes heid-
nisches Werkzeug in der Hand Gottes erscheinen die Hunnen ähnlich
wie die apokalyptischen Schaaren des Gog und Magog, die nur
dazu berufen sind, zu quälen, zu schaden, zu versuchen, die aber den
Sieg des Reiches Gottes nicht hindern können, ihn vielmehr wider
Willen fördern müssen. Mehrmals hat der Herr im Verlauf der
Geschichte solche nomadische Völkerschwärme aus dem innern Asien
hervorgeholt und sie als ein schweres Strafgericht über die vorderen
Länder und auf das erschreckte Europa sich stürzen lassen. Damals
nun trafen sie zuerst auf das gewaltige Gothenreich, mit der Masse
seiner unterworfenen Völker und mit dem ostgothischen Heldengreise
Hermanrich als Oberkönig an der Spitze. Gleich von dem ersten
Stoße ging das ganze weitausgedehnte Reich zu Trümmern, und wie
ungeheure Fluthen ergossen sich nach Norden, Westen und Süden hin
die Zehntausende der gothischen Kriegsheere und der bisher mit ihnen
verbundenen germanischen oder sarmatischen Stämme. Da ward
auch Athanarich der Westgothenkönig nach langem tapfern Wider-
stand gezwungen, das Land zwischen Dniefter und Donau zu ver-
lassen und den früher schon in das Römerreich übergetretenen (christ-
lichen) Gothenschaaren nachzufolgen. Als er kam, war der arianische
Kaiser des Ostreichs, Valens, nicht mehr am Leben. In einem
Kriege, den er gegen die bereits früher hereingelassenen und immer
neu nachrückenden Gothen unternommen, war er auf klägliche Weise
umgekommen 378, und die Gothen waren eine geraume Zeit die
Herren des ganzen Landes zwischen dem adriatischen und schwarzen
Meer. Da hätte Jedermann denken sollen, daß die östliche Hälfte
des römischen Reiches bereits unrettbar verloren sei. Und siehe, wie
wunderbar. Gerade dieser Theil deö Römerreichs, der damals schon
vollständig in den Händen der nordischen Barbaren war (das alte
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Extrahierte Personennamen: Valens
Extrahierte Ortsnamen: Europa Gottes Gottes Europa Donau
Xvii. §. 8. Die Westgothen in Rom und im südlichen Frankreich. 281
Mittelpunkt seiner Kirche für die Länder des Westens machen wollen.
Aber das Heidenthum hatte fort und fort hartnäckigen und entschie-
denen Widerstand geleistet. Jetzt eben erhub es sich zur Hoffnung
auf einen letzten Sieg über das Christenthum. Der Gegenkaiser
Attalus, der unter Alarich's Schutze in Rom dem Honorius
gegenübertrat, welcher sich hinter die Sümpfe und Mauern von
Ravenna geflüchtet hatte, war zwar getauft, erwies sich aber bald als
entschiedener Heide und darauf bedacht, die alte Herrlichkeit des Hei-
denthums in Rom wieder herzustellen. Trotz der drohenden Nähe
des Gothenheeres, trotz der schon zweimal erfolgten Vertragschließung
und Uebergabe an den Alarich, fuhr man in Rom unbegreiflicher-
weise fort, den Christengott zu lästern und die Götzen wieder hoch
zu ehren. Da war das Warten des langmüthigen Gottes zu Ende.
Wider seinen Willen mußte Alar ich als Racheengel über die gott-
empörerische Stadt herfahren. „Eine Stimme verfolgt mich," sprach
er, „die treibt mich, Rom zu zerstören." So brach denn das Gothen-
heer (410) herein in die unbußfertige Stadt, und wie früher in
Griechenland, so wurden jetzt in der Weltstadt die heidnischen
Tempel und Bilder und Erinnerungszeichen von dem Christenheer der
Barbaren zerstört und vernichtet, die Häuser geplündert, und die von
allen Enden des Weltkreises zusammengeraubten Schätze weggenom-
men. Da fraß das Schwert, da zehrte die Flamme unter dem Heiden-
volk, auch wohl unter dem tief gesunkenen Christenvolk der Stadt.
Aber dennoch, so viel es in solchen Augenblicken, wo alle Leiden-
schaften entfesselt sind, geschehen konnte, wurden die Christen mit ihren
Kirchen und Heilikhümern durch Alarich's Krieger geschont. Für die
Gemeinde des Herrn sollte es wohl eine schwere Züchtigung und War-
nung für die Zukunft sein, aber nicht ein Strafgericht zum Verderben
wie für das Heidenvolk. Daher durfte Alarich auch nicht in Rom
bleiben. Er mußte weiter ziehen nach Unteritalien, und da er das
Werk, wozu der Herr ihn erweckt, wohl ausgerichtet hatte, starb er
an der Südspitze Italiens und wurde von seinen trauernden Gothen
unter dem Busentofluß begraben. — War Alarich zum Strafwerk-
zeug über den zähen Ueberrest des Heidenthums in Griechenland und
Italien berufen gewesen, so hatte sein Nachfolger Athaulf den fried-
lichern Beruf empfangen, seinem Volke einen neuen festen und blei-
benden Wohnsitz zu gewinnen und ein wohlorganisirtes westgolhisches
Reich zu gründen. Aber nicht in Italien. Das südliche Frankreich
und ein Theil von Spanien war ihm zur Gründung seiner Herrschaft,
zur Vermengung seines Germanenvolks unter die keltisch-römische Be-
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Extrahierte Personennamen: Honorius Honorius Athaulf
Extrahierte Ortsnamen: Rom Frankreich Rom Ravenna Rom Rom Rom Griechenland Rom Unteritalien Italiens Griechenland Italien Italien Frankreich Spanien
Xvii. §. 9. Einbruch der Hunnen in das Römerreich :c. 283
aber das gewonnene Land nicht mehr entreißen. Schon drängten von
Norden, von den Niederlanden her, auch die Franken nach Gallien
herein, und im Süden saßen die Gothen. Es blieb also nur ein
schmaler Streif römischen Gebiets in der Mitte Frankreichs noch übrig.
Spanien war unter Gothen, Sueven, Alanen und Vandalen ge-
theilt, und soeben (431) schifften die letzteren, von dem römischen
Statthalter Bonifacius, des Aätius Nebenbuhler, selber herbei-
gerufen, nach Nord-Afrika hinüber und gründeten mit ihrem König
Geiserich an der Spitze ein vandalisches Reich daselbst. Fast alle
römischen Städte fielen rasch in ihre Hände. Dagegen blieb neben
der Hauptstadt Karthago auch die Stadt Hippo so lange unbezwungen,
bis der letzte große afrikanische Kirchenvater Augustinus seine Au-
gen daselbst geschloffen hatte. Der Gerechte wird hinweggerafft vor
dem Unglück. Er hatte lange seinen lasterhaften Landsleuten die
kommenden Strafgerichte vorhergesagt. Da sie einbrachen ward er
heimgeholt.
§. 9. Einbruch der Hunnen in das Römerreich und geist-
liche Bedeutsamkeit Rom's.
Während sich im Süden und Westen das Römerreich im-
mer weiter zersplitterte, wuchs im Osten eine Macht heran, die dazu
bestimmt schien, das ganze Abendland vollends aus den Fugen zu
reißen und die europäische Bildung sammt dem Christenthum mit
der tiefen Nacht asiatischen Heidenthnms und nomadischer Rohheit
gänzlich wieder zu bedecken. Das Hunnenvolk, jene Gog- und Ma-
gogschaaren aus den weitgedehnten Steppen Asiens, hatten sich nach
dem ersten gewaltigen Stoß, mit dem sie das weite Gothenreich zer-
trümmerten, geraume Zeit in den Wolgagegenden ruhig verhalten.
Aber gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts war unter ihnen ein
Mann aufgestanden, der, obwohl er den lebendigen Gott nicht kannte,
sich doch der schrecklichen Aufgabe bewußt war, die göttlichen Straf-
gerichte an den Resten der Römer und den germanischen Völkern des
Westens zu vollziehen. Vom kaspischen Meere bis zu den Karpathen
hatte Attila, der gewaltige Hunnenfürst, sich bereits alle germani-
schen und sarmatischen Stämme dienstbar gemacht. Den Kaiser in
Conftantinopel erschreckte er durch immerwährende Raubzüge südlich der
Donau und zwang ihn zu entehrenden Verträgen. Die Häuptlinge
der Ostgothen, die Gepiden, Rugier, Heruler u. s. w., bildeten einen
Theil seines glänzenden Hofstaats. Immer weiter nach Westen, über
die Longobarden und Thurilinger hinaus bis zum Burgunderreich am
Mittelrhein dehnte er die ungeheuren Grenzen aus. Endlich brach
er 450 selber auf, um den Rhein zu überschreiten und das ganze
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Extrahierte Personennamen: Bonifacius Augustinus Attila
Xvii. §. 10. Die germanischen Patricier des Römerreichs in Italien rc. 287
südwestliche Gallien und fast ganz Spanien*) inne hatte, der Bur-
g'underkönig, der mit seinem Volk die früheren Sitze in Worms
und der Pfalz den Alemannen überlassen und zwischen Rhone und
Alpen sein Reich gegründet hatte, und endlich noch der Beherrscher
des kleinen noch römisch gebliebenen Streifens im Mittlern Frankreich
Aegidius, und nach ihm sein Sohn Spagrius. Dieser Letztere
schaltete in seinem Lande eben so unabhängig wie der Burgunder- und
der Gothenkönig in dem ihrigen, und geberdete sich keineswegs als
Unterthan des römischen Kaisers. Aber er war doch eben so wie die
beiden Könige dem Kaiser zur militärischen Hülfe und Heeresfolge
verpflichtet imd führte deshalb auch eben so wie jene den Titel eines
römischen Feldmarschalls (magister militum). Um also diese mächtigen
Häupter dem römischen Interesse nicht ganz zu entfremden, setzte Ri-
chimer doch wieder einen Kaiser ein, den Anthemius (467—472).
Aber er konnte dessen Anerkennung beim Spagrius und bei den
Weftgothen nicht durchsetzen, entzweite sich auch bald selbst mit ihm,
zog gegen ihn zu Felde und stellte einen neuen Kaiser auf, Oly-
brius. Aberbei der Belagerung Rom's, wo Anthemius sich ver-
theidigte, kamen die beiden Kaiser und Richimer selber um (472).
An die Stelle des Letztem als Patricius von Italien trat einer der
angesehensten römischen Heerführer, Orestes. Dieser ließ sich zwar
anfangs den vom oströmischen Hofe aufgestellten Imperator Julius
Nepos gefallen (473—475), veruneinigte sich aber bald mit ihm,
verjagte ihn aus Italien und machte seinen eignen Sohn Romulus
Augustulus zum Kaiser (475—476). Und diese beiden bedeutungs-
vollen Namen sind denn, wie die ersten, so auch die letzten gewesen
in der Geschichte der römischen Macht und Herrschaft. Ohne letzte
Zuckungen, ohne krampfhaften Widerstand, ohne Ruhm und Ehre ging
der letzte Rest des Römerreichs zu Gr§be. So wenig eingrei-
fend und epochemachend ist dieses Ende des römischen Kaiserthums,
daß man sogar noch zweifelhaft ist, ob es schon 476 mit der Ent-
thronung des Romulus oder erst 480 mit dem Tode des von
Orestes vertriebenen Julius Nepos eintrat. Ob ein Kaiser da
war oder keiner, erschien ganz gleichgültig. Alles ging seinen gewohn-
ten Gang. Statt des Orestes trat ein anderer Patricius in Ita-
lien hervor, Odo ach er, der den Orestes besiegt hatte und nun
') Es gab in Spanien neben dem westgothischen geraume Zeit noch ein
kleines Suevenreich, in der nordwestlichen Ecke des Landes.
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Extrahierte Personennamen: Julius
Nepos Romulus
Augustulus Julius_Nepos
270 Xvii. §.3. Bedürfniß kriegerischen Vordringens bei den Germanen rc.
eine Gefolgschaft kriegslustiger Mannen um sich zu sammeln und auf
Eroberungen auszuziehen? Wurden ihre Unternehmungen vom Glück
begünstigt, so strömten ihnen bald Tausende zu. Selbständig
herrschten sie in den eroberten Landschaften als ruhmgekrönte Heer-
könige (wie Ariovist jenseits des Rheins), und so lange sie Leute,
Landbesitz und unterworfene Hörige oder auch leibeigne Knechte zu
vertheilen hatten, mehrte sich ihre Macht und ihr Ansehen durch im-
mer neuen Zuzug aus anderen Gemeinden. Kurz, auf Krieg und Er-
oberung war das gestimmte germanische Volksleben eingerichtet, auf
selbständige Kriegsthaten war von Jugend aus der Heranwachsende
Germane hingewiesen. Wie hätte sich ein solches Volk auf die
Länge in bestimmte Grenzen einschließen, hinter Rhein und Donau
sich zurückhalten lassen?
Vor der Hand freilich waren die Römer jenseits der beiden Flüsse
noch zu mächtig, als daß ans dauernde Eroberungen in ihrem Gebiet
zu rechnen war. Wie halfen sich nun die deutschen Heldensöhne, um
dennoch ihr kriegerisches Gelüst zu befriedigen? Sie traten geradezu in
römische Kriegsdienste. Das galt nicht im Mindesten für unehrenhaft
oder gar für Vaterlandsverrath. Ein vaterländisches Gemeingefühl
muß man überhaupt bei den damaligen Germanen nicht voraussetzen.
Sie kannten nur die Treue gegen ihren Heerkönig, ihren Gefolgsfüh-
rer. Wer aber war ein mächtigerer Heerkönig als der römische Im-
perator? Warum sollten sie nicht in seinem Gefolge auf Krieg und
Eroberung ausgehen, wenn unter den eignen Stammgenossen die Gele-
genheit fehlte? Und mit Freuden wurden die deutschen Helden im
römischen Heere ausgenommen, mit Landbesitz versorgt, mit Ehren und
Titeln geschmückt. War doch selbst Armin römischer Ritter! So
lange die römischen Heere diesseits des Rheines standen, war solcher
Uebertritt in römische Dienste desto leichter. Aber auch über den
Rhein und über die Donau hinüber führte der eigne Thatendrang und
die römische Lockung immer zahlreichere Schwärme deutscher Kriegs-
haufen im römischen Solde. Bald waren die römischen Ufer beider Flüsse
und die südwestlichste Ecke Deutschlands zwischen denselben Flüssen, welche
dierömer'ebenfalls gewonnen und seit Trajan (vgl. S. 249) durch Be-
festigungen gesichert hatten, von römisch gewordenen Germanen bevölkert
und mit unablässiger Treue und Tapferkeit gegen die unabhängig ge-
bliebenen Germanen vertheidigt. Aehnlich gestaltete sich dies Verhält-
niß am untern Lauf und nahe am Ausfluß der Donau, wo Trajan
die Geten und Daher (Dacier) unter ihrem König Decebalus be-
zwungen und Dacien (Walachei, Moldau, Siebenbürgen) zur römi-
schen Provinz gemacht hatte. Dort überwog freilich die Masse der
herübergczogenen römischen Colonisten, und die römische Cultur in
ihrer ganzen Ausdehnung ward in dem neueroberten Lande heimisch.
An den übrigen Punkten der Grenzlinie dagegen überwog die germa-
nische Bevölkerung, welche zwar ebenfalls unter dem Einstuß römischer
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Xvii. §. 10. Aufrichtung des Frankcnreichs. 280
Orestes in Italien angetreten und blieb auch von dort aus mit dem
Severinus in freundschaftlichem Verkehr.
§. 10. Aufrichtung des Frankenreichs.
Durch das Aufhören der Jmperatorenherrschaft waren also die
damaligen Verhältnisse des römischen Gebiets zunächst noch gar nicht
geändert. Es bestand nach wie vor aus vier Stücken. Italien
unter dem Patricius und Feldmarschall Odoacher, das römische Ge-
biet in Gallien unterm Feldmarschall Syagrins, weiter das Bur-
gunderland und das Westgothenreich, in denen beiden die rö-
mischen Einwohner nach wie vor nach römischem Recht und römi-
scher Sitte von den Germanenkönigen, die ja zugleich römische Patri-
cier waren, regiert wurden. Und sie befanden sich unter der germanischen
Verwaltung bei Weitem wohler als unter den römischen Beamten. Aber
sie haßten ihre neuen Herren als ketzerische Arianer und sie verachteten sie
als rohe und ungebildete Barbaren. Sich gegen sie zu empören, sich ihrer
Herrschaft zu erwehren, konnte ihnen nicht einfallen, denn sie waren so
gänzlich erschlafft und sittlich haltungslos, so völlig dem sinnlichen
Genußleben hingegeben, daß ihnen schon der Gedanke schreckhaft war,
statt der Flöten und Harfen, Schmucksachen und Würfel kriegerische
Waffen zur Hand zu nehmen, statt des fröhlichen Becherklangs die
Schlachttrompete hören zu müssen. So stand es in ganz Gallien,
auch in dem römischen Gebiet des Syagrius. Er wäre auch nicht
im Stande gewesen, seine römischen Unterthanen von ihren Festen,
Gastmählern und Schauspielen hinweg zum Kampf hinauszuführen;
deshalb mußte auch er einen germanischen Heerkönig in Sold nehmen,
den merovingischen Frankenkönig Childerich, der schon dem Aegi-
dius gedient, und dessen Sohn Chlodwig'(482) an die Spitze der
fränkischen Kriegsschaar im Dienst des Syagrius trat. Dieser
Chlodwig aber, schon in seiner Jugend von glühendem Ehrgeiz und
Herrschgier erfüllt, blieb nicht lange in dem unterthänigen Verhält-
niß zum Syagrius. Er entzweite sich mit ihm, besiegte und töd-
tete ihn (486). Binnen acht Jahren unterwarf er sich sodann das
ganze Römergebiet in Gallien und gründete sich zwischen Loire und
Schelde ein fränkisches Reich, welches gegen Süden die Westgothen
und Burgunder, gegen Osten das rheinische Königreich der ripuari-
schen Franken mit der Hauptstadt Köln, und weiter südlich das
Alemannenreich, am Mittlern und obern Rhein, zu Grenznachbaren
hatte. Aber bald greift der eben so kühne als verschlagene und treu-
lose Mann über diese Grenzen hinaus. Im Bunde mit den rheini-
». Rohden, Leitfaden. 19
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Xvii. §. 11. Gründung des Ostgothenreichs ;c. 291
und Eigenthum beschenkt, im ganzen nördlichen Frankreich und am
Rhein entlang in dichten Massen niederließen und das größtentheils
verödete und menschenleere Land in fast alleinigen Besitz nahmen, be-
setzten sie das ehemals westgothische Land südlich von der Loire nur in
sehr kleiner Zahl und in großen Zwischenräumen. Daher behielt das süd-
lich e Frankreich stets seine eigenthümliche (romanische) Bevölkerung mit
römischer Sprache und römischen Sitten, während im nördlichen Frank-
reich das germanische Wesen viel tiefer eiugriss. Aber doch auch nur in einer
schon sehr verkümmerten Gestalt. Denn die salischen Franken waren
schon zu lange vorher als römische Grenzhüter unter dem verderblichen
römischen Einstuß gewesen, als daß sie nicht vom echten Gernranenthum
das Beste schon hätten verlieren müssen: deutsche Treue, Redlichkeit und
Gottesfurcht. Darum konnte mit der Zeit ein so großer Riß geschehen
zwischen den französischen Franken und ihren eheinaligen deutschen
Brüdern, und eine so freundliche Annäherung und Vermischung der
römischen Südgallier mit ihren nördlichen Beherrschern.
§. 11. Gründung des Osigot henreichs. Katholische und
arianische Fürsten.
So hatten sich denn auf den Trümmern des westlichen Römer-
reichs zunächst (wenn wir von Britannien absehen) vier neue germa-
nische Reiche erhoben. Das jüngste von ihnen, das Frankenreich,
welches nach Chlodwig's Tode auch das Burgunderreich vol-
lends verschlang, war das am meisten keltisch-römisch gebliebene, am
wenigsten von neuem germanischen Lebenselement erfüllte Land.
Aber es zog noch geraume Zeit neuen Zufluß frischer Kräfte aus
der engen Verbindung mit den echt germanisch gebliebenen Stämmen
am Rhein und diesseits des Rheins. Erst als d'iese Verbindung auf-
hörte, trat das eigentlich französische Wesen klar und kenntlich hervor.
Sodann aber: es war das einzige römisch-katholische Reich. Das
West gothenreich, aus Frankreich fast völlig verdrängt und über
die Pyrenäen zurückgeworfen^), erfüllte ganz Portugal und Spanien
und überwältigte auch das kleine Suevenreich daselbst. Das Van-
dalenreich im nördlichen Afrika hatte dort alle ehemals römischen
Besitzungen an sich gerissen, die Inseln des Mittelmeeres erobert und
mehrmals Italien und Rom selber bedroht. Beides waren echte
Germanenftaaten, mit germanischem Recht und Gesetz, aberden römi-
schen Unterthanen verhaßt, und durch den arianischen Glauben inner-
*) Nur die Provinzen Narbonne und Gaöconia blieben in den Händen der
Westgothen.
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Rhein Frankreich Frank- Britannien Rhein Rheins Frankreich Portugal Spanien Afrika Italien Rom Westgothen
328 Xix. §. 3. Neue Epoche durch Gregor den Großen.
schenke in Bewegung setzte, so konnte in den neubekehrten Heidenlan-
den das Reich Gottes unmöglich tiefe Wurzeln schlagen. Die
Veräußerlichung und Verweltlichung der Kirche wuchs mit ihrer Aus-
breitung, da das Weib über vielen Wassern thront, die da sind Völker
und Stämme der Heiden (Offb. 17), da ist ihre Ehre längst dahin.
Immerhin war und blieb doch noch so viel Gnadenkraft und Se-
gensfülle, so viel -Same des ewigen Wortes bei ihr vorhanden, daß
sie der germanischen und slavischen Welt ein Wegweiser zum Heile,
gleichsam ein alttestamentlicher Zuchtmeister auf Ehristum hin werden
und vielen nach Gerechtigkeit hungernden Seelen das verborgene
Manna darbieten konnte.
Da Gregor noch zu den alten Kirchenlehrern gezählt wird, so
ist damit schon gesagt, daß er nicht ohne Gelehrsamkeit gewesen sei.
Aber seine Gelehrsamkeit geht nicht über die Kenntniß der früheren la-
teinischen Kirchenväter hinaus. Die classische Literatur des alten Hei-
denthums, die griechische und hebräische Sprache kennt er nicht. Auf
dogmatische Spitzfindigkeiten, auf scharfsinnige Schlußfolgerungen und
Begrifssspaltungen läßt er sich nicht ein. Er ist durch und durch prak-
tisch, und die ganze Kraft und Zähigkeit seines praktischen Wesens ist
einzig und allein auf Ordnung und Hebung des Kirchenwesens durch
Feststellung und Erhöhung der Gewalt des römischen Bischofs ge-
richtet. Um die reichen päpstlichen Besitzungen (Petri Erbgut) mög-
lichst ertragsfähig und seine eigne Stellung dadurch möglichst unab-
hängig zu machen, ist er ein sehr sorgfältiger Rechnungsführer und
Verwalter seiner Güter. Um sich unter den Unruhen und Zerwürf-
nissen Italiens einen möglichst gesicherten Platz zu verschaffen, schließt
er aus eigne Hand Verträge mit den immer mächtiger um sich greifen-
den Longobarden, selbst gegen den Willen des byzantinischen Statthalters
in Rom. Er sucht sich an die Könige des Frankenreichs anzulehnen
zum Schutz gegen die Uebermacht der oströmischen Kaiser, und weiß
doch auch bei diesen Kaisern durch eine kluge Mischung von Festigkeit
und Nachgiebigkeit sich so sehr zu empfehlen, daß der Kaiser Phocas
den römischen Bischof zum allgemeinen Oberbischof erklärt, ein Titel,
den Gregor noch eben vorher dem Patriarchen zuconstanünopel auf
das Heftigste bestritten hatte. Durch den Uebertritt des spanischen
Westgothenkönigs R eccared vom Arianismus zum katholischen Glau-
den und durch die Annäherung der Longobarden an das katholische
Kirchenthum gewann er über die Bischöfe Spaniens und Italiens
eine noch unzweifelhaftere Autorität, als über die griechischen und orien-
talischen Bischöfe. Schlugen ihm auch seine Versuche fehl, eine gleiche
oberrichterliche Stellung über die gallischen Bischöfe zu gewinnen,
so that sich doch alsbald durch die Christianiflrung Englands ein
noch bedeutenderes Feld für sein oberbischösticheö Ansehen auf. Ganz
besonders aber wußte er als „Vater der Mönche" durch die entschie-
denste Begünstigung der überall vordringenden Benedictiner, deren Klö-
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Extrahierte Personennamen: Gregor Gregor Gregor Gregor Gregor
Extrahierte Ortsnamen: Heidenlan- Gottes Petri Italiens Rom Oberbischof Spaniens Italiens Englands
Xvin. §. 3. Zerstörung der arianischen Reiche durch die Oströmer. 299
gann sich in ihrem Rücken zu bilden, ihre eigne Eroberungslust
drängte sie vorwärts, der Reichthum und die Ueppigkeit der südlichen
Länder lockte sie, der kaiserliche Statthalter in Italien, der Eroberer
Narses selber, mit seinem Hofe zerfallen, rief sie herbei — da er-
gossen sich die longobardischen Schaaren des Alboin (568) durch
die Alpenpässe in die schöne Halbinsel, nahmen den größten Theil des
Landes in Besitz und haben ihren Namen (Lombarden, Lombardei)
wenigstens in Ober-Italien für alle Zeit befestigt.
Das Vandalenreich, welches noch vor dem ostgothischen zer-
stört wurde, wurde noch gründlicher vernichtet und die Vandalenreste
noch vollständiger ausgetilgt, weil das Verderbniß desselben noch größer
war. Man würde übrigens den Vandalen Unrecht thun, wenn man
ihnen von Anfang an so schwere sittliche Befleckungen Schuld geben
wollte, wie am Ende der fast hundertjährigen Dauer ihres nordafri-
kanischen Reichs. Roh, grausam, unbändig, zerstörungslustig waren
sie, mehr noch als andere germanische Stämme, denn in ihren Adern
rollte nicht ganz ungemischtes Blut; es scheint mit sarmatischen (slavi-
schen) Bestandtheilen versetzt gewesen zu sein. Dagegen wird ihre Ent-
haltsamkeit, ihre Keuschheit, ihr Abscheu gegen die unnatürliche Wollust
und Genußsucht der afrikanischen Christen von unparteiischen Zeitge-
wvssen sehr gerühmt. „Obgleich sie bei ihrem Einbruch Ueberfluß an
Allem vorfanden, gaben sie sich nicht dem Genüsse hin, sondern ver-
schmähten den Lurus. Die verderbten Sitten der römischen Afrikaner
betrachteten sie mit Abscheu, besonders die unnatürliche Unzucht der
Männer, und waren bemüht, durch strenge Gesetze solchen Lastern zu
steuern und die schändlichen Sitten zu bessern." Allein nur zu bald
änderte sich ihr Sinn. Als sie nach der kriegerischen Anstrengung
endlich zur Ruhe gekommen und dem verführerischen Beispiel ihrer
lasterhaften römischen Unterthanen, dem entnervenden und verweichli-
chenden Einfluß des afrikanischen Klima bloßgestellt waren, da erwies
es sich bald, daß sie an ihrer arianischen Religion keine Stütze und
keinen Zügel hatten, um in den Schranken der Ehrbarkeit weiter zu
wandeln. Durch ihre Grausamkeit zu schweren Verfolgungen der ka-
tholischen Kirchen und Gemeinden hingerissen, durch die Verfolgungen
ihren eignen Unterthanen zum Grauen und Ekel geworden, konnten sie
weder in der äußerlichen Thätigkeit der Landesverwaltung noch in der
Beschäftigung mit höheren geistigen Dingen Befriedigung suchen. So
singen sie an, sich den fleischlichen Genüssen hinzugeben, die sie vormals
so sehr verachteten, und also an ihrer eignen Auflösung zu arbeiten.
Innere Streitigkeiten, Hader um den Besitz des Thrones, Bruderkriege
traten hinzu, der Widerwille der katholischen Römlinge ward immer
stärker. Selber riefen sie den Zu st in i an zur Befreiung herbei und als
Belifar landete, fand er sofort eine große Menge Freunde und Mit-
streiter an den römischen Städtebewohnern, aber wenig gerüstete Kriegs-
heere voll altvandalischer Tapferkeit. Innerhalb dreier Monate war die
Eroberung des Landes entschieden (553). Man darf bei dieser Ero-
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